Zusammenhalt am Arbeitsplatz

Erwerbsarbeit ist für viele Menschen ein erheblicher Teil ihrer Lebenszeit. Dafür müssen sie keine Workaholics sein. Inklusive Pausen, Überstunden und Arbeitsweg kann man bei einer vollen Stelle schon mit 50 Stunden die Woche rechnen, das ist etwas weniger als die Hälfte unserer wachen Zeit. An dieser Stelle will ich Schule, Studium und Ausbildung zur Erwerbsarbeit dazuzählen, weil sie sich in Bezug auf das Engagement sehr ähnelt. Denn beide Bereiche sind davon geprägt, dass wir viel Zeit fremdgesteuert verbringen. Wer Glück hat, hat eine gute Arbeitsstelle mit freundlichen Kolleg:innen und fairen Vorgesetzten. Arbeit kann uns erfüllen und bereichern aber auch belasten und krank machen – manchmal sogar mit derselben Aufgabe. Wer nicht von Vermögenserträgen oder einem Erbe leben kann (oder von Trandferleistungen leben muss), ist auch auf das Geld angewiesen, um den Lebensunterhalt zu finanzieren oder eigenen Wohlstand aufzubauen. Wer das Glück hat von Zinsen, Dividenden, Pacht oder Mieten zu leben, sollte sich durchaus auch vor Augen halten, dass dieses Geld von anderen Menschen erarbeitet wurde.

Alles in allem ist der Arbeitsplatz für uns jeweils einzeln ein sehr wichtiger Ort, dessen gute Ausgestaltung wesentlich  für unsere Lebensqualität ist. Aber auch für unsere Gesellschaft insgesamt gilt, dass gute Arbeit Anzeichen für eine funktionierende Wirtschaft ist und auch eines ihrer wesentlichen Ziele. Deswegen ist das Engagement in diesem Feld auch nicht nur für uns jeweils einzeln von Bedeutung, sondern wirkt auch über die Summe seiner Teile hinaus positiv auf unser gesellschaftliches Zusammenleben. Zufriedene Menschen sind gesünder und leistungsfähiger, resilienter und offener Aufgaben zu übernehmen. Genauso sind auch die Unternehmen, das Wirtschaftssystem und die Gesellschaft stärker, wenn es den Menschen an ihrem Arbeitsplätzen gut geht.

Es spricht noch ein weiterer Punkt für Engagement im Kontext des Arbeitslebens. Wir sind ja schon regelmäßig an unserer Arbeitsstelle und müssen nicht erstmal hinfahren. Wir kennen die Leute, mit denen wir uns gemeinsam einsetzen wollen – das heißt wir wissen vorher auf wen wir uns einlassen. Auch können wir direkt erleben, was wir erreichen und können besser einschätzen, wo Probleme sind und wo unsere Zeit sinnvoll eingesetzt werden kann. Der Weg von der engagierten Mitarbeit zum Engagement am Arbeitsplatz ist kurz. Das ist natürlich ein zweischneidiges Schwert, denn realistischerweise kann Engagement am Arbeitsplatz vielfältige Konflikte auslösen: Vorgesetzte, die Kontrolle behalten wollen, Kolleginnen und Kollegen, die andere Prioritäten haben. Transparenz über Erwartungen einerseits aber andererseits auch eine stabile Solidarität unter den Engagierten, helfen möglichen Problemen entgegenzuwirken.

Es gibt viele unterschiedliche Motive, warum Leute sich am Arbeitsplatz engagieren:

  • Für viele ist der Anlass, konkrete Probleme im beruflichen Kontext, die adressiert werden sollen. Niedrige Bezahlung, ungünstige und lange Arbeitszeiten, ungesunde Arbeitsbedingungen oder eine selbstherrliche Führungskultur können Anlass sein, sich zusammenzuschließen und als Arbeitnehmer:innen gemeinsam auf diese Probleme aufmerksam zu machen. Nicht immer geht es darum, den Aufstand zu proben. Manchmal geht es auch nur darum, einen Weg zu finden auch den vorgesetzten Personen Rückmeldung zu geben, ohne Repressionen zu befürchten. In meiner Lebensgeschichte erinnere ich mich daran, dass ich einmal eine außerordentliche Klassensprecherwahl gewonnen habe, weil ich bereit war, mit einer Lehrerin über Dinge ins Gespräch zu kommen, die uns gestört haben. Auch mein Eintritt in die Gewerkschaft hatte den Hintergrund, dass wir in unserem studentischen Radiosender Probleme mit den Erwartungen der Betreibergesellschaft hatten und die Gewerkschaft uns mit juristischem Rat und Verhandlungsgeschick zur Seite stand.
  • Wer sich mit seiner Arbeit und dem Arbeitgeber identifiziert, der hat häufig das Bedürfnis auch Dinge noch besser zu machen, die eigentlich gut laufen. Nicht jede Organisation ist darau eingerichtet Innovationen von Mitarbeitendem adequat aufzunehmen. Das muss nicht heißen, dass diese abgewehrt oder gar bekämpft werden. Häufig sind Organisationen einfach damit überfordert so etwas aufzunehmen – insbesondere, wenn es um grundsätzliche oder organisatorische Innovationen geht. Eine gute Führungs- und Unternehmenskultur ist nicht nur offen für solche Hinweise, sondern befördert diese, weil der Erfindungsgeist der Mitarbeitenden eine wichtige Ressource sein kann. An meiner Arbeitsstelle habe ich den Zusammenschluß von Personen mit ähnlichem Aufgabenprofil hier als sehr förderlich erlebt. Wir besprechen gemeinsam Fälle, tauschen Lösungen aus und erarbeiten sie zum Teil neu. So etwas kann durchaus ohne Beteiligung der Leitung entstehen und sich als wertvolle Struktur erweisen.
  • Ich arbeite in einer Branche, in der aufgrund der grundgesetzlich geschützten Wissenschaftsfreiheit  Selbstverwaltung eine große Rolle spielt. Aber auch außerhalb der öffentlichen Hochschulen gibt es Gremien der Mitbestimmung, die besetzt werden müssen: Betriebs- und Personalräte in Konzernen und Behörden zum Beispiel, aber auch andere Beiräte oder die Organe berufsständischer Akteure wie Kammern und Verbände oder im wissenschaftlichen Bereich Fachgesellschaften. Aufgrund meiner Arbeit im akademischen Management, meiner langjährigen Gremienerfahrung und auch meiner Freude an diesem formalisierten Engagement, habe ich mich schon häufig hier eingesetzt: ob als Sprecher meines Abiturjahrgangs, Mitglied der erweiterten Hochschulleitung meiner Universität, ob als Vorsitzender des Nachhaltigkeits-Ausschuss unserer internationalen Fachgesellschaft in der Kommunikationswissenschaft oder als Mitglied unseres Fakultätsrats. Schwierig ist in diesem Zusammenhang die sehr heterogene Erfahrung mit politischen Prozessen der Mitglieder und damit einhergehend ein notwendiges Maß an Rücksicht auf weniger erfahrene Leute, die manches komplizierter machen aber eben auch mit gleichem Recht eingebunden werden müssen. Cleveres und selbstbewusstes Management bindet diese formalisierte und gesetzlich vorgeschriebene Engagement ein, anstatt es zu behindern oder sich selbst zu überlassen. Leider wird häufig der zweite Weg beschritten, was dazu führt, dass dann umgekehrt diese Ämter attraktiver für Leute werden, die Freistellungen oder Privilegien eher dazu nutzen, um aus der eigentlichen Aufgabe herauszukommen als die eigene Organisation weiterzubringen, indem sie durch belastbare vertrauenswürdige Kommunikation die Belange der Belegschaft vertreten.

Gerade beim Engagement am Arbeitsplatz ist der Umgang mit Widerstand ein wichtiger Aspekt, den ich nicht verschweigen will. Denn während im Ehrenamt Widerstände zwar durchaus vorkommen, so sind Konflikte hier seltener so existentiell, wie in der beruflichen Sphäre (auch wenn die Härte, mit der gerade im freiwilligen Ehrenamt manchmal gestritten wird, das nicht vermuten lässt). Hintergrund sind aus meiner Erfahrung meist überforderte Vorgesetzte oder ungeklärte Erwartungen. Deswegen gilt im beruflichen Engagement wie überall: Freundlichkeit im Umgang, Transparenz der eigenen Ziele und eine deutliche Sachorientierung. Dazu kommt aber auch eine solidarische Haltung unter den Kolleginnen und Kollegen, die gerade dann wichtig ist, wenn es gilt etwas gemeinsam zu erkämpfen. Dabei gilt, dass diese Solidarität meist selbst erarbeitet werden muss und nicht erzwungen werden kann. Gerade Situationen, die Konflikte eskalieren können, müssen von der Gemeinschaft der möglichen betroffenen Menschen mitgetragen werden. Ein besonderer Augenmerk gilt dann den schwächsten Betroffenen: wenn beispielsweise einige unbefristete Verträge haben, während andere um ihren Arbeitsplatz fürchten müssen, dann sind die Letzteren besonders zu berücksichtigen. Ich habe immer wieder erlebt, dass Leute solidarische Netzwerke im beruflichen Kontext für ihre privaten Konflikte mit Vorgesetzten nutzen wollten. Häufig werden solche Anliegen – vor allem, wenn sie unberechtigt sind – nicht aufgenommen, da die Beteiligten im beruflichen Kontext ja immer auch eigene Reputation und Netzwerke einbringen, die auch Schaden nehmen können, wenn sie in Konflikte verwickelt werden.

Selbstverständlich gehört zur Solidarität am Arbeitsplatz auch die Mitgliedschaft in einer richtigen (also im Zweifel auch streikfähigen und -willigen) Gewerkschaft. Neben der Tarifarbeit inklusive möglichem Arbeitskampf und der wichtigen sozialpolitischen Rolle der Arbeiter:innen-Bewegung gibt es auch individuelle Vorteile – insbesondere ist hier die Rechtsberatung bis hin zur Prozessvertretung zu nennen. Denn manchmal endet das Engagement am Arbeitsplatz auch vor Gericht. Das ist zwar glücklicherweise selten, aber deswegen nicht weniger problematisch im jeweiligen Einzelfall. Es ist dann aber durchaus auch berechtigt sich die Frage zu stellen: hat meine Firma meine Mitarbeit verdient? Wenn die Frage angesichts eines problematischen Umgangs mit engagierten Mitarbeitenden verneint werden muss kann eine ordentliche Abfindung den Rückzug erleichtern.

Ein Sonderfall sind Arbeitsplätze in Organisationen, die sich dem Engagement verschrieben haben: Kirchen, Parteien und Gewerkschaften etwa, aber auch NGOs und zu einem gewissen Anteil auch der öffentliche Dienst. Hier gilt es eine klare Abgrenzung zwischen eigenem privaten Engagement und engagierter Mitarbeit zu finden und mit den Erwartungen – insbesondere seitens des Ehrenamts – zurecht zu kommen. Dieser Konflikt wird nicht erleichtert, wenn man selbst aus dem Ehrenamt ins Hauptamt wechselt. Dazu kommt, dass viele dieser Organisationen andere Machtstrukturem haben als privatwirtschaftliche Konzerne: als sogenannte Tendenzbetriebe können sie Mitarbeitende leichter entlassen bis hin zu einem eigenen Arbeitsrecht, wie es die Kirchen für sich entwickelt haben. Nicht immer verstehen die Leitungen solcher Organisationen, dass sie die gleiche Verantwortung für das Wohlergehen ihrer Mitarbeitenden haben, wie jeder Handwerksbetrieb und im gleichen Maße von ihrer Mitbestimmung profitieren können wie jeder Dax-Konzern. Damit verbunden ist die Lage in ganzen Berufsfeldern, die eine hohe Überschneidung mit ehrenamtlichem Engagement haben: hier sind in erster Linie die Berufe der Sorge-Arbeit zu nennen: ob in Pflege oder Erziehung. Aber eben auch Bildung und Politik. Das geht zwar häufig mit den oben genannten Arbeitgebern einher, kann aber auch anderswo vorkommen: der unterbezahlte Pfleger im hochprofitablen Krankenhaus in privater Trägerschaft ist ebenso ein Beispiel, wie die Lobbyistin, die angesichts ihrer Tätigkeit in Zynismus und Burnout getrieben wird. Ich denke, dass in diesem Berufen und Organisationen Solidarität unter den Mitarbeitenden und eine zum Engagement einladende Unternehmenskultur von besonders hoher Bedeutung ist.

Haben Sie keine Angst davor, sich am Arbeitsplatz zu engagieren. Machen Sie es einfach. Wenn Sie ein Problem sehen, etwas verbessern wollen oder Teil der bestehenden Strukturen werden wollen, dann können Sie üblicherweise von zwei Dingen ausgehen: Ihre Hilfe ist willkommen und Sie werden nicht alleine sein. Beides ist ein ziemlich gutes Zeichen, dass Ihr Projekt richtig und wichtig ist. Klar müssen Sie sich nicht von anderen Leuten abhängig machen, aber gerade beim Einstieg kann man es sich so erstens leichter machen und zweitens Enttäuschungen vermeiden, wenn man Energie in ein Projekt steckt und dies einfach nicht niemanden interessiert. Wenn Sie in der Arbeit keinen konstruktiven Kontext finden für Ihr Engagement, dann ist es vielleicht einfach nicht der richtige Ort.

Als Fazit will ich zusammenfassend drei Fragen beantworten: was machen wir beim beruflichen Engagement eigentlich, warum machen wir das und wie kann man das am besten machen? Aus meiner Sicht sollte es immer darum gehen konstruktiv mitzugestalten. Das gilt besonders auch deshalb, weil Konflikte im Arbeitskontext existielle Folgen haben können. Wobei ganz grundsätzlich Kooperation und Lösungsorientierung im Engagement mehr Spaß machen. Ich engagiere mich am Arbeitsplatz, um teilzuhaben an den Zusammenhängen in denen ich arbeite. Lohnarbeit war eine wirklich gute Erfindung der Menschheit, um koordiniert auch ganz große Projekte durchzuführen. Dennoch ist sie im Kern das, was für eine lange Zeit in der Menschheitsgeschichte die Sklaverei war: Herrschaft der Besitzenden über die Nichtbesitzenden. Die Emanzipation aus diesem Machtungleichgewicht durch Teilhabe und Mitbestimmung ist ein nachhaltiger Weg abseits von Aufstieg, Ausstieg und Revolution. Fast mehr als in den anderen Bereichen des Engagements ist im beruflichen Kontext Zusammenhalt wichtig, denn es ist erstens überhaupt nur sinnvoll, wenn es von Solidarität getragen wird und benötigt diese zweitens, um aus der prinzipiell machtlosen Situation eine Kraft zu entwickeln.

Bernhard Goodwin auf dem Weg durch eine Werkshalle von MAN geführt von einem Mitarbeiter der Firma.
B. Goodwin 2019 in einer Fabrik.